Gesundheitsreform 2009 – Kompromiss 2006

Ziel
Ziel des Neuordnung des Gesundheitswesens war es, die Finanzierung des Ge-sundheitswesens für die kommenden Generationen auf eine solide Grundlage zu stellen. Dazu sollte sowohl die Ausgabenseite als auch die Einnahmenseite refor-miert werden. Mehr Wettbewerb, kostengünstigere Strukturen und eine Entkoppelung der Sozialbeiträge von den Arbeitskosten waren die erklärten Ziele auf dem Weg zur Neuordnung. Die Ausgangslage war jedoch unglücklich, weil die großen Koalitions-partner der Regierung mit zwei unvereinbaren Modellen in die Verhandlungen gin-gen: die Gesundheitsprämie und die Bürgerversicherung. Herausgekommen ist ein äußerst kompliziertes Kompromisswerk. Die wichtigsten Elemente der Reform:
Beiträge
Die Gesundheitskosten steigen seit mehr als 20 Jahren immens. Immer wieder sind daher Reformen und Änderungen in Gesetze gegossen worden – die nach kurzer Zeit der Eingewöhnung erneut höhere Ausgaben produzierten. Anfang 2007 sollen die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung in der Größenordnung von 0,5 Prozentpunkten steigen, um drohende Milliardenlöcher bei den Kassen zu stopfen, deren Grund z.Zt. im wesentlichen bei den Arzneimittelkosten und einer jährlichen Steigerung von 15 – 20 % (je nach Kasse) liegt. Der durchschnittliche Beitragssatz der gesetzlich Versicherten würde damit 2007 auf 14,7 Prozent steigen. Der Faktor Arbeit wird also zusätzlich belastet und nicht, wie ursprünglich vorgesehen, entlastet. Offiziell sollen die Kassen die Mehreinnahmen zur Entschuldung nutzen, um 2009 unbelastet in den Gesundheitsfonds starten zu können. Das gleiche galt schon 2003 im Rahmen der damaligen Reform. Die Bundesregierung hat inzwischen erkannt, dass steigende Beitragssätze das gesamte Reformwerk in Misskredit bringen könn-ten. Es ist deshalb vorgeschlagen worden, aus Steuermitteln den Anstieg zumindest zu bremsen.

Kinderversicherung
Ziel ist die beitragsfreie Mitversicherung von Kindern. Langfristig will die Koalition die Kindermitversicherung komplett aus Steuermitteln finanzieren. Dafür sind insgesamt 16 Mrd. Euro notwendig. Die Koalition hat sich lediglich darauf verständigt, begin-nend mit dem Jahr 2008 den Steuerbeitrag nach und nach zu erhöhen. Im ersten Jahr wollen Union und SPD 1,5 Mrd. Euro für die Kinderversicherung bereitstellen. Für 2009 sind Steuermittel von 3 Mrd. Euro vorgesehen. Steuererhöhungen könnten dieses Loch stopfen – sollen aber auf Intervention der Länderminister nicht erfolgen.
Zunächst wird die Koalition die bisherige Steuerfinanzierung des Gesundheitssys-tems wieder zurückfahren. Die 4,2 Mrd. Euro aus der Tabaksteuer, die noch in die-sem Jahr den Kassen zugute kommt, dient 2007 zum größten Teil der Haushaltssa-nierung. Die Kassen erhalten dann nur noch 1,5 Mrd. Euro, ab 2008 entfällt der Zu-schuss.

Gesundheitsfonds
Der Sozialversicherungsfonds als Finanzpool ist das Kernelement der Reform auf der Einnahmenseite. Als Ergebnis des nun etwa ein Jahr währenden Streites der Koaliti-onspartner ist der Beginn auf 2009 gelegt worden. Der Gesundheitsfonds soll die Unterschiede zwischen armen und reichen Kassen einebnen und für Wettbewerb zwischen den Kassen sorgen. In den Fonds fließen die Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Die Kassen erhalten für ihre Versicherten aus diesem Pool einen Einheitsbeitrag. Kassen, die damit nicht auskommen, können eine Zusatzprämie er-heben. Mit der Begrenzung auf ein Prozent des Haushaltseinkommens sollen sozial Schwächere geschützt werden. Zusätzlich dürfen die Kassen einen Zusatzbeitrag von 8 Euro unabhängig von der Ein-Prozent-Grenze erheben.

Risikostrukturausgleich
Seit Anfang der 90er Jahre dient das Ausgleichssystem zwischen den Kassen dazu, Krankenkassen mit einer hohen Zahl überdurchschnittlich kranker Mitglieder vor Nachteilen im Wettbewerb schützen. Seit drei Jahren gilt innerhalb des Risikostruk-turausgleiches besondere Regeln, wonach bestimmte Krankheiten der Versicherten bei den finanziell schwer betroffenen Kassen zu höherem Ausgleich führte. In Zu-kunft soll sich der Risikostrukturausgleich an 50 bis 80 Krankheiten zu orientieren. Darunter sollen auch die weit verbreiteten Herz-Kreislauf-Krankheiten und nicht nur Krankheiten wie HIV-Infektionen fallen.
In Bundesländern mit hoher Beschäftigungsrate werden höhere Einnahmen bei den Kassen realisiert als in Bundesländern mit höherer Arbeitslosenrate. Dies bedeutet bei angenommen gleichen Ausgaben ein höherer Bedarf der letztgenannten Kassen. Dies möchten die „reichen Bundesländer“ nicht – im Kompromiss besteht nun über-wiegend Einigkeit, dass in einer "Konvergenzphase" höchstens 100 Mio. Euro von den reichen Südländern zu den ärmeren Nachbarn im Norden fließen.

Private Krankenversicherung
Die privaten Kassen werden verpflichtet, einen Basistarif ohne Gesundheitsprüfung anzubieten, der sich an den Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen orientiert. Dieser Tarif soll allen freiwillig versicherten Arbeitnehmern offen stehen. Auch Nicht-versicherte dürfen diesen Tarif in Anspruch nehmen. Dies bedeutet, dass insbeson-dere Betriebsinhaber, die seinerzeit die gesetzliche Versicherung verlasen haben und bei den Privaten – oder auch bei den Gesetzlichen – wegen Beitragsrückstand ihre Krankenversicherung verloren haben, nun Anspruch auf Neuversicherung ha-ben. Der Tarif hierfür soll sich an dem Höchstbeitrag für die gesetzliche Krankenver-sicherung orientieren, der derzeit bei etwa 500 Euro im Monat liegt. Der Beitrag ver-ringert sich auf die Hälfte, sollte die Bezahlung Hilfebedürftigkeit auslösen. Wer auch das nicht zahlen kann, soll einen Zuschuss vom Staat erhalten.
Weiter war ursprünglich vorgesehen, dass die angesammelten Altersrückstellungen der Versicherten im Falle eines Anbieterwechsel mitzunehmen sind. Im Ergebnis sol-len die Rückstellungen bei Wechsel der Versicherungen im Umfang des Basistarifs anrechnungsfähig gestaltet werden. Damit wird der Versicherungswechsel für dieje-nigen zum Verlustgeschäft, die über dem Basistarif versichert sind. Wer zu einer ge-setzlichen Versicherung wechselt, kann seine Altersrückstellungen nicht mitnehmen.

Vergütung
Bei den Ärzten soll an die Stelle eines Honorarsystems nach Punkten ein einfacheres Vergütungssystem mit Pauschalpreisen in Geldbeträgen treten. Damit können die Ärzte vor einer Behandlung erkennen, was sie für eine bestimmte Leistung erhalten. Die Budgetierung soll abgeschafft und von einer so genannten Mengensteuerung abgelöst werden. In der Folge gilt, dass bei einer bestimmten Mengenüberschreitung die Honorarsätze gekürzt werden sollen. In strukturschwachen Regionen kann der Arzt höhere Honorare fordern. Die Kassen müssen Hausarzttarife anbieten, um zu gewährleisten, dass ihre Mitglieder zunächst den Hausarzt aufsuchen, bevor sie ei-nen teuren Facharzt konsultieren. Das Hausarztmodell ist jedoch nicht zwingend für Ärzte und Versicherte. Auch wer sich regelmäßig an Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsmaßnahmen beteiligt, kann von seiner Kasse mit einem Bonus be-lohnt werden.

Leistungen
Für Komplikationen nach Schönheitsoperationen, Piercings und Tätowierungen müs-sen die Kassen künftig nicht mehr aufkommen. Die von der Ständigen Impfkommis-sion empfohlenen Impfungen werden in eine Pflichtleistung umgewandelt, die von den Kassen bezahlt werden muss. Auch für Mutter-Vater-Kind-Kuren müssen die Versicherungen künftig aufkommen.
In den Krankenhäusern soll die ambulante Versorgung verbessert werden. Kassen und Kliniken werden mehr Geld dafür bereitstellen.

Arzneimittel
Bei den Medikamenten sollen 2007 insgesamt 500 Mio. Euro eingespart werden Die. Kassen und Apotheken werden zu Preisverhandlungen verpflichtet, um diese Vorga-ben einzuhalten. Sollten sie das Ziel dennoch verfehlen, müssen die Apotheken den Kassen Sonderrabatte einräumen. Außerdem werden Höchstpreise für Medikamente eingeführt. Ärzte, die ein sehr teures Arzneimittel verschreiben wollen, müssen vor-her die Meinung eines Kollegen einholen. Zudem sollen neue Medikamente verstärkt einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden, bevor sie kassenärztlich zugelas-sen werden.

Verbände
Die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem bleibt erhalten, allerdings ergeben sich Änderungen in Organisation und Ablauf. Künftig vertritt nur noch ein Dachverband statt bisher sieben die gesetzlichen Krankenversicherungen auf Bundesebene. Die Kassen und ihre Verbände sollen sich bis Ende 2007 zu einem gemeinsamen Kas-senverband zusammenschließen. Zudem sollen die Kassen künftig untereinander auch kassenübergreifend fusionieren können – was aber auch schon eingeschränkt bisher möglich war.

 

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