Preussen muß geschichtlich für vieles herhalten. Hierzu gehört die sog. Allgemeine Gewerbefreiheit unter Abschaffung aller Privilegien der Zünfte, die das ausgehende Mittelalter geprägt hatten. Bauern, deren Kinder mit erneut geteilten Höfen nicht mehr überleben konnten, gingen ins Militär, die Arme der Kirche oder wanderten aus - am besten nach Amerika. Um nun den weltweit aufkommenden Erfindungen und deren Verwertung gerecht zu werden und unter dem Druck der sozialen Verhältnisse wurde die Abschottung der Handwerksberufe als überholt angesehen und abgeschafft. Das erwies sich als richtig, denn es folgte die sog. Industrielle Revolution, die handwerkliche Strukturen nicht brauchte.
Nach der Beseitigung der Hitler-Diktatur wurde die gerade wieder eingeführte Pflicht zur Meisterinhaberschaft (großer Befähigungnachweis) erneut abgeschafft und erst 1952 wieder eingeführt - in nach ostdeutschen und westdeutschen getrennten, aber hier übereinstimmenden, Handwerksordnungen.
Jeweils Einigkeit bestand, daß nur geprüfte Gesellen sich selbständig machen sollten, um Qualität zu garantieren. Dies ist - und das ist allgemein nicht bekannt - ein typisch deutscher Ansatz. Nicht die Ware ist vorrangig nach Qualität zu werten, sondern der Mensch, der die Ware schafft, denn sein Können, sein Fleiß und die von ihm bediente Maschine bestimmt die Ware. Umgekehrt ist es in England. Hier war es stets die Maschine und nicht der Mensch, der das Produkt herstellte und es wird Qualitätsmanagement erfordert, das dokumentiert, wie das Produkt gefertigt wird, egal wer es fertigt.
In diesem Zusammenhang ist es überraschend - oder auch eben nicht - daß in einem vereinten Europa der Meisterbrief überflüssig ist und durch QMS ersetzt wird. Der Meisterbrief ist dann Qualitätsmerkmal und nicht Teil des Marktzugangs - etwas was außerhalb Deutschlands eben keiner versteht.
Oder doch ?
Geht man davon aus, daß der Zwang entfällt - was ändert sich ?
In Deutschland geht jeder nach dem Preis, denn die Leistung steht fest. Dies regeln Normen und Aufsichtsämter, Rechtsanwälte und Sachverständige - oder eben auch die Innung als Streitschlichtungsstelle. In anderen Ländern kennen die Auftraggeber und Auftragnehmer die Normen auch, aber sie haben keineswegs den Rang wie bei uns. Gesetze im anglo-amerikanischen Rechtsgebiet sind Richtlinien im Sinne von Grundsätzlichkeiten. Also z.B. reicht es "Du sollst nicht töten" als Norm zu schreiben, denn vorauszusehen, wie, wieso, mit welchen Folgen jemand jemanden zu Tode bringt, ist unmöglich. Anders in Deutschland. Hier ist es Tradition alles in Gesetze zu schreiben - und was dort nicht steht ist erlaubt.
Hier ist der Schluß zu ziehen, daß Europa ein viel größeres Experiment ist, als von allen geglaubt wird. Denn es kommen jetzt noch andere Anschauungen hinzu und damit das Problem der Mißverständnisse.
Um es ganz klar zu sagen: Vieles spricht für den Meisterbrief. Auch kann der örtlich handelnde Handwerksmeister in der Regel von einem europäischen Kollegen kaum gestört werden. (Die Niederlassungsfreiheit gibt es seit 1964 ohne wesentliche Benachteiligung der deutschen Handwerker mit Meisterbrief gegenüber den europäischen, die sich ohne Brief in Deutschland seit dem niederlassen können.) Zu fordern ist vielmehr eine Grundausbildung und eine organisierte Weiterbildung - in allen Berufen wie auch Ärzten und Rechtsanwälte. Dies wird allerdings gegen den Willen der Beteiligten nicht erreichbar sein. In der genannten Konstellation ist allerdings der Zwang zum großen Befähigungsnachweis auf Dauer in der Tat nicht zu halten - es sei denn, wir schauen noch einmal auf die Geschichte:
Was war damals die Folge der Allgemeinen Preußischen Gewerbefreiheit?
1. Qualitätsverlust bis hin zum Zwang der Überwachung
"gefährlicher" Handwerksberufe (Hygiene)
2. Arbeitslosigkeit infolge Zusammenbruchs des be-
stehenden Systems bei den bisherigen "Rechtsinhabern"
3. Zusammenbruch bei den Neugründungen
mangels Marktpotenz, die die neuen Firmen erst mit neuen Techniken
in der Industriellen Revolution brauchten
4. Der Begriff "made-in-germany" hatte Warnfunktion
wegen schlechter Qualität (Dies änderte
sich erst mit der Industriellen Revolution).
Schluß aus allem:
Es stehen ungewisse Zeiten an - geht man von der Sicht des Handwerks aus. Aber eins sollte auch klar sein, der Handwerker macht grundsätzlich keinen Konkurs. Der erlente Beruf ist sein Lebensinhalt. Er ist bestrebt - unter Verbesserung seine Fähigkeiten - das Erreichte zu erhalten. Aber er passt sich auch an. In der übrigen Wirtschaft war das schon immer anders. "Ich eröffne ein Geschäft, produziere einen Konsumgesgenstand und probiere es mit meiner Geschäftsidee. Wenn es nicht geht, dann mache ich Konkurs und versuche es erneut." Ein Prinzip, das überwiegend in den USA Erfolg hat. Hier gibt es Handwerksbetriebe in der dritten und vierten Generation..... oder besser gab es.